Heute ist der Tag gegen Gewalt gegen Sexarbeiter*innen.


Dieser Tag erinnert an einen Massenmord an Sexarbeiterinnen in den 80er Jahren. Gary Ridgway, der sog. „Green River Killer“, hatte in Seattle in den USA mindestens 49 Sexarbeiterinnen getötet. Erst 2001 wurde er vor Gericht gestellt und 2003 zu lebenslänglicher Haft verurteilt.

Vor Gericht erklärte er: „Ich habe Prostituierte als meine Opfer ausgewählt, weil ich die meisten Prostituierten hasse und sie nicht für Sex bezahlen wollte, […] weil sie leicht zu schnappen waren, ohne dass es bemerkt wurde. Ich wusste, dass sie nicht sofort als vermisst gemeldet würden und vielleicht nie als vermisst gemeldet würden. Ich habe mir Prostituierte ausgesucht, weil ich dachte, ich könnte so viele von ihnen töten, wie ich wollte, ohne erwischt zu werden.“
(http://news.bbc.co.uk/2/hi/americas/3245301.stm)

Am Tag gegen Gewalt gegen Sexarbeiter*innen gedenken wir jedoch nicht nur aller Sexarbeitenden, die Opfer von Gewalt wurden. Wir nehmen ihn auch zum Anlass, ganz konkret aktuelle, täglich stattfindende Gewalt gegen Menschen in der Sexarbeit anzuprangern. Denn nach wie vor sind sie hohen Risiken ausgesetzt: Nötigung, Vergewaltigung, Morde, Erpressung, Übervorteilung, Mobbing gegen sie selbst, ihre Kinder, ihre Partner*innen und Verwandten, erniedrigende Darstellung in den Medien, Shitstorms und Verunglimpfungen.

Die Gewalt kann von Kund*innen und Geschäftspartner*innen ausgehen, von Intimpartner*innen, von Behörden, Profiteur*innen oder einfach von Menschen, die Sexarbeiter*innen hassen oder glauben, hier schutzlose Opfer zu finden, deren psychische und physische Unversehrtheit niemanden interessiert.

Aber was macht Menschen schutzlos? Gewalt gegen Sexarbeitende findet in einem gesellschaftlichen Kontext statt, in dem alle Menschen, die sexuelle Dienstleistungen anbieten, an den Rand gedrängt, diskreditiert, verleumdet, entmündigt, diskriminiert oder sogar kriminalisiert werden. Dies potenziert sich mit anderen Diskriminierungsformen, denen Sexarbeitende vielfach ausgesetzt sind, wie der Abwertung von Migrant*innen, trans Personen, behinderten, rassifizierten oder armutsbetroffenen Menschen. Gewalt gegen Sexarbeitende wird so strukturell begünstigt, gesellschaftlich geduldet, staatlich kaum sanktioniert. All dies setzt Sexarbeitende einem höheren Risiko aus Gewalt zu erleben als andere Arbeiter*innen.

Daran sind nicht nur staatliche Institutionen mit ihren gesetzlichen Regulierungen beteiligt. Es ist ein Konglomerat aus Vorurteilen und Werthaltungen, eine Vielzahl von gesellschaftlichen Praktiken in der Mehrheitsgesellschaft und in gesellschaftlichen Institutionen, die Sexarbeitende als nicht schützenswert und nicht ernstzunehmend markieren.

Oft sind es Kommentare am Rande von gesellschaftlichen Ereignissen, die gar nichts mit Sexarbeit zu tun haben, die nur als Anlass genommen werden, Geringschätzung gegenüber Sexarbeitenden zum Ausdruck zu bringen:

So durfte ein Anrufer in einer Sendung des Westdeutschen Rundfunks zu den Übergriffen am Kölner Domplatz Silvester 2016 unkommentiert äußern: „Wir müssen diesen jungen Männern klar machen, dass unsere Frauen keine Huren sind.“ Wer ist das „Wir“, das hier Besitz an welchen Frauen anzeigt, die es scheinbar im Gegensatz zu Huren verdienen, geschützt zu werden? Und welche Auswirkungen hat dies für die Arbeits- und Lebensbedingungen der Sexarbeitenden? Soll es heißen, dass Sexarbeit zu sexualisierter Gewalt auffordert? Dass Huren ungefragt und unbestraft begrabscht werden dürfen? Dass sie selbst schuld sind, wenn sie sexualisierte Gewalt erfahren?
(https://www1.wdr.de/radio/wdr2/programm/arena/audio-uebergriffe-auf-frauen-bedraengt-begrapscht-bestohlen---wdr-arena-100.html)

Ganz ähnlich argumentieren Prostitutionsgegner*innen, wenn sie Sexarbeit mit sexualisierter Gewalt gleichsetzen. Im Umkehrschluss heißt das ja, dass alle Personen, die Sexarbeit anbieten, in Gewalt einwilligen.

Lange Zeit wurden Fälle von Gewalt gegen Sexarbeitende mit genau diesem Argument strafrechtlich nicht verfolgt oder als minder schwere Fälle gewertet. Wie Ehefrauen, die bis in die 1990er Jahre sexuelle Übergriffe durch ihre Ehemänner ertragen mussten, weil sie ja in die Ehe eingewilligt hatten, sollten Prostituierte sie ertragen, weil sie in eine sexuelle Dienstleistung gegen Entgelt eingewilligt hatten.

Diese Sichtweise findet sich im Strafrecht und der Gerichtsbarkeit heute nicht mehr. In Äußerungen von Gegner*innen der Sexarbeit schimmert sie aber immer wieder auf: Sexarbeitende, die sich als solche öffentlich bezeichnen und betonen, diese Arbeit freiwillig oder sogar gern zu machen, werden als „Schlampen“, „Täterinnen“, „moralisch verderbt“ dargestellt. Solche Menschen müssen dann auch nicht mehr geschützt werden: Im Zuge solcher Diffamierungen outete die Zeitschrift Emma den Klarnamen einer Sexarbeiterin, die sich politisch für die Rechte der Sexarbeitenden einsetzt, wohlwissend, dass Sexarbeitende sich durch Alias-Namen vor Übergriffen schützen.
(https://www.emma.de/lesesaal/59921#pages/47 Emma, November/Dezember 2014, S.47)

Auch im Handeln der Polizei ist sie beizeiten noch sichtbar, wie in einem Fall, den die Prostituiertenselbsthilfeorganisation Dona Carmen am 29. April dieses Jahres ins Licht der Öffentlichkeit rückte. Der Attentäter von Hanau hatte 2018 eine Sexarbeiterin engagiert und sie mit einer Schusswaffe und einem Messer bedroht. Die von der Frau gerufene Polizei interessierte sich jedoch weniger für die Bedrohung durch den späteren Attentäter, als vielmehr für die illegalisierte Tätigkeit der Escort-Dame in einem Sperrgebiet von München.
(https://www.donacarmen.de/attentat-von-hanau/)

Auf der anderen Seite wird oft unterstellt, in der Sexarbeit Tätige seien mental nicht in der Lage, eine bewusste Entscheidung zu treffen. So wurde in der Debatte um die Novellierung des Prostitutionsgesetzes immer wieder verlangt, bei einer einzuführenden Zwangsberatung den Geisteszustand der Sexarbeitenden zu begutachten.
(https://www.bundestag.de/resource/blob/428742/bfac78f72e5d72982079ab7f9cdd5d35/64--sitzung_06%E2%80%9306%E2%80%932016_wortprotokoll-data.pdf)

Vor solchen Forderungen schreckt auch der Unternehmerverband Erotik Gewerbe Deutschland e.V. (UEGD) nicht zurück: Er schlug in diesem Jahr vor, Frauen aus der Ukraine die Berechtigung zur legalen Ausübung der Sexarbeit 12 Monate ab Erteilung ihres Aufenthaltstitels zu entziehen. Danach sollte sie von einem ärztlich-psychologischen Gutachten abhängig gemacht werden. Darüber hinaus forderte er verstärkte Kontrollen und ein härteres Vorgehen gegen die „Illegale Prostitution“. Im Klartext: Er treibt Sexarbeitende in die Illegalität, fordert dann ein hartes Vorgehen gegen die Illegale Prostitution, um zum krönenden Abschluss Sexarbeitende als tendenziell psychisch krank zu markieren. Dieser Vorstoß konnte nur als Versuch verstanden werden, die potenziell aufkommende Konkurrenz von privat arbeitenden Sexarbeitenden im Keim zu ersticken und sich gleichzeitig vom Image des Zuhälterverbandes rein zu waschen.

So finden sich sogenannte Feministinnen in trauter Gesellschaft mit den von ihnen so verhassten Bordellbetreiber*innen und umgekehrt.
(P O S I T I O N S P A P I E R Schutz geflüchteter Frauen aus der Ukraine gewährleisten – Illegale Prostitution bekämpfen und Auflagen im Bereich der legalen Prostitution schaffen, Unternehmerverband Erotik Gewerbe Deutschland e.V. Hannover, 28. März 2022)

Und nicht nur durch den UEGD e.V. wurde die Tragödie des Ukrainekrieges für eine Repression unliebsamer Sexarbeitender genutzt. Wie so oft wurden flüchtende Personen, besonders Frauen, unter dem Deckmantel des Schutzes vor Ausbeutung und Menschenhandel, als unmündig dargestellt, ihre Positionen geschwächt, Hilfsangebote, die sich explizit auf die Seite von Sexarbeitenden stellten, skandalisiert und damit offen gegen die Rechte und den Schutz von Sexarbeitenden gearbeitet.
(beispielsweise hier: https://www.change.org/p/sexkauf-bestrafen-prostitution-abbauen/u/30364168?recruiter=296699605&utm_source=share_update&utm_medium=twitter&utm_campaign=share_twitter_responsive&recruited_by_id=4d5d4130-fa12-11e4-9d36-35b70f9cc3a2)

In all diesen Beispielen wird deutlich sichtbar, wie Gewalt gegen Sexarbeitende auch heute noch gesellschaftlich toleriert wird. Auch wenn sich die Bedingungen für Sexarbeitende seit den 80er Jahren verbessert haben, zeigen sie, wie weiterhin ein Klima der Abwertung geschaffen und erhalten wird, in dem Sexarbeitende teils als völlig natürliche Opfer, teils als Täter*innen des Patriarchats fungieren, diskriminiert und entmündigt werden.

Daher ist es auch im Jahr 2022 und in den kommenden Jahren geboten, sich gegen eben diese Abwertungen zu stellen, wo immer sie auffallen und Sexarbeitende in ihren Anliegen zu unterstützen, bis sie sicher und ohne Gefahr arbeiten und leben können.